Logo: Münnerstädter Kreis
26.04.2024
13.04.10

Glauben - ein Grundvollzug unseres christlichen Lebens

Kategorie:
Nachrichten, Na Kirche im 21. Jahrhundert

von reinhold nöth

1. Was heißt »glauben«?

Die deutsche Sprache geht mit dem Wort »glauben« sehr großzügig um: »ich glaub, heute Mittag regnet´s«, sagen wir, oder »ich glaube, die Bank macht schon um 16.00 Uhr zu«. Glauben heißt hier so viel wie meinen, vermuten, ist also etwas sehr Unsicheres bzw. Ungenaues. »Glauben heißt nicht wissen«, sagt schon ein deutsches Sprichwort.

Eine tiefere Dimension kommt ins Spiel, wenn das Wort »glauben« auf eine Person bezogen wird, z.B. »ich glaube dir« oder »ich glaube an unsere Liebe«. Glauben heißt hier vertrauen und bringt eine persönliche Beziehung mit einem Du zum Ausdruck.

Der religiöse Begriff »glauben« kennt auch diesen Unterschied zwischen dem sachlichen und dem persönlichen Bereich: Was glaube ich inhaltlich und wem schenke ich mein Vertrauen? Dennoch erfordert der religiöse Glaube eine völlig andere Ebene, eine neue Dimension. Hier geht es nicht mehr nur um Wissen bzw. den natürlichen Bereich unseres Lebens, nicht um Wissenschaft und Vernunft, sondern um die Frage, ob es über diesen irdischen Bereich unseres Daseins noch etwas oder jemanden gibt, der unserem Leben einen tieferen Sinn und Grund - auch über den Tod hinaus - schenken kann. Und dieser Glaube erfordert einen Sprung über unsere Welt und unser eigenes Ich hinaus in den Bereich der Transzendenz, der vielen Menschen in unserer modernen Welt sehr schwer fällt. In unserem alltäglichen Leben läuft alles nach den Regeln der Sachlichkeit, der objektiven Fakten, der Berechung und des Beweises. Die Naturwissenschaft gibt hier den Ton an. Und diese Ebene des Rationalismus zu verlassen und den Sprung in den Glauben zu wagen, dazu fehlt vielen Zeitgenossen heute der Mut. Ja im Gegenteil, viele Atheisten bekämpfen geradezu den religiösen Glauben, sie sprechen vom »Gotteswahn« (Richard Dawkins) und verurteilen den Glauben als dumm oder gar gefährlich. Sie wollen sich ganz auf die Wissenschaft beschränken und lehnen den Glauben als wissenschaftsfeindlich ab. Natürlich kann man die Existenz Gottes nicht beweisen, aber ebenso wenig seine Nichtexistenz. Insofern ist auch der Atheist letztlich ein Glaubender, nämlich dass es Gott nicht gibt. Deshalb hat der französische Dichter Victor Hugo recht mit seinem Spruch: »Zu glauben ist schwierig, nicht zu glauben ist aber unmöglich.«

 

2. Christlicher Glaube

2.1 Die Bibel als Quelle des Glaubens

Wenn wir uns über den christlichen Glauben Gedanken machen, dann müssen wir unseren ersten Blick auf die Bibel werfen. Sie ist die Quelle und Grundlage unserer Glaubensüberzeugung.

Das Alte Testament ist eine Sammlung von 45 einzelnen Büchern, die etwa in der Zeit von 1000 v.Ch. bis Christi Geburt entstanden sind. Sie umfassen die Geschichte des Volkes Israel von der Erschaffung der Welt bis zum Babylonischen Exil und später dann die Folgezeit unter der Herrschaft anderer Großmächte wie Perser oder Römer. Neben den geschichtlichen Büchern gibt es viele andere Schriften, z.B. die Propheten oder das Buch der Psalmen.

Die Grundaussage des AT ist die Treue Jahwes zu seinem Volk Israel. Gott schließt beim Auszug aus Ägypten am Berg Sinai mit seinem Volk einen Bund: »Du wirst mein Volk sein, ich werde dein Gott sein« (vgl. Ex 19 - 24 und 32 - 34). Inhalt dieses Bundesvertrages sind die zehn Gebote, die später durch viele Einzelvorschriften erweitert werden. Das Volk stimmt diesem Bund zu: »Alles was der Herr gesagt hat, wollen wir tun.« (Ex 19,8 und 24,3). Damit beginnt die lange Glaubensgeschichte Israels mit seinem treuen Gott Jahwe. Freilich kommt es immer wieder zum Bruch: Das Volk ist ungehorsam und stürzt sich damit selbst ins Unheil. Propheten treten auf, warnen die Könige und das Volk vor Fehltritten. Es kommt zur schlimmsten Katastrophe: Jerusalem und der Tempel werden zerstört, die führende Schicht des Volkes wird in die Babylonische Gefangenschaft (586 - 538 v.Ch.) verschleppt. Doch Gott verlässt sein Volk nicht und hält ihm die Treue.

Immer wieder sind es große Männer (und Frauen), die Zeugnis ihres Jahweglaubens geben und dem Volk als Vorbild hingestellt werden. Allen voran Abraham, der Stammvater und Urpatriarch des jüdischen Volkes. Er vertraut auf Gott, macht sich auf in das gelobte Land, er lässt sich nicht erschüttern, selbst als Gott ihm befiehlt, seinen Sohn Isaak zu opfern und wird damit - auch für das Neue Testament - zum Vorbild und »Vater aller, die glauben« (Röm 4,11). Mit ihm beginnt im NT auch der Stammbaum Jesu. (vgl. Mt 1,12).  

Weitere wichtige Führer des Volkes und Glaubenszeugen sind dann die Patriarchen und Propheten sowie Moses, der das Volk aus der Knechtschaft führt. Der Hebräerbrief würdigt in einem eigenen Kapitel (11) die Glaubenszeugen des Volkes Israel: »Aufgrund ihres Glaubens haben die Alten ein ruhmvolles Zeugnis erhalten.« (Hebr 11,2).

In den Psalmen wird dieser Glaube ins Gebet jedes einzelnen Menschen übertragen: »Wohl dem Mann, der auf den Herrn sein Vertrauen setzt« (Ps 40,5), »ich vertraue auf Gott und fürchte mich nicht« (Ps 56,5). Diese zeitlosen Gebete sind auch für uns heute noch Ansporn und Begleitung unseres christlichen Glaubens (vgl. Psalm 46 und 91).

Glaube hat entsprechend den Schriften des AT demnach zwei Dimensionen: Das uneingeschränkte Vertrauen auf Gott, aber auch den Gehorsam gegenüber seinen Geboten und den gesetzlichen Vorschriften. Ein Credo bzw. eine dogmatische Entfaltung des Glaubens ist im AT noch nicht erkennbar.

Das Neue Testament setzt für den christlichen Glauben einen ganz neuen Mittelpunkt: die Person und das Werk Jesu Christi. In den 27 Büchern des NT wird die Bedeutung Jesu Christi und vor allem seine Auferstehung zum Kern und Herzstück unseres Glaubens. Während die vier Evangelien das Leben und Wirken Jesu bis zu seinen Tod und seiner Auferstehung beschreiben, legen die übrigen Schriften und vor allem die Paulusbriefe die Bedeutung der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus für unser Glaubensleben aus. Zentrale Aussage ist die Botschaft von der Auferweckung Jesu und unsere Hoffnung auf ein neues Leben im Reiche Gottes. Im AT taucht die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod erst in den späteren Schriften (Daniel) ganz zaghaft auf, das NT ist erfüllt vom Osterglauben.

Vor allem in den Briefen des Apostels Paulus wird die Konsequenz des Christusglaubens für uns selbst bedacht: Was bedeutet Auferstehung für uns? - vgl. 1 Kor 15. Wer auf Christus getauft ist, der wird »mit ihm auch in seiner Auferstehung vereinigt sein« (Röm 6,5).

Paulus setzt sich auch mit seinem jüdischen Gesetzesglauben auseinander: »Wir sind der Überzeugung, dass der Mensch gerecht wird durch Glauben, unabhängig von Werken des Gesetzes.« ( Röm 3,28) »Aus Gnade seid ihr durch den Glauben gerettet, nicht aus eigener Kraft« (Eph 2,8). Für Martin Luther war dies die zentrale Botschaft: Der Mensch kann sich sein Heil nicht selbst erwerben, es bleibt Geschenk Gottes - allein durch Glauben, allein aus Gnade (»sola fide, sola gratia«). Paulus betont die Freiheit des Christen von der Last des Gesetzes: »Zur Freiheit hat uns Christus befreit... lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auferlegen« (Gal 5,1). »Dienet einander in Liebe! Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben  wie dich selbst« (Gal 5,14).

Das NT enthält wirklich eine frohe, befreiende Botschaft, die dem Menschen geschenkt wird zu seinem Heil. Sie gibt uns Lebenssinn und Kraft: »Alles kann, wer glaubt« (Mk 9,23), der Glaube kann Berge versetzen (Mk 11,23), er verheißt uns »die Fülle des Lebens« (Joh 10,10). Dieses Leben in Fülle beginnt nicht erst nach unserem Tod, sondern schon jetzt: »Wer an mich glaubt, hat das ewige Leben, er wird auf ewig nicht sterben« (Joh 6,40 und 11,26). Und mit dieser Frohbotschaft ist eine ethische Leitlinie verbunden, die kürzer, freier und effektiver nicht sein kann: »Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben... und deinen Nächsten wie dich selbst!« (Mt 22,37 ff).

Josef  Ratzinger weist in seinem großartigen Glaubensbuch »Einführung in das Christentum« noch auf eine besondere Verbindung zwischen dem AT und NT hin: Der alttestamentliche Gottesname »Jahwe« (Ich bin, der ich bin«) hat im Johannesevangelium eine Parallele in den Ich-bin-Worten Jesu: »Ich bin das Licht der Welt, das Brot des Lebens, der gute Hirte, ich bin die Auferstehung und das Leben, der Weg, die Wahrheit und das Leben...« (Joh 6 - 14).  »In Jesus Christus ist Gott wirklich der Rufbare geworden. In ihm ist Gott für immer in die Mitexistenz mit uns eingetreten« (Ratzinger, S. 100).

 

2.2 Ich glaube an Gott

Was heißt christlich glauben? Der große Theologe des Mittelalters Thomas von Aquin (+ 1274) hat den Glauben so definiert: »Glauben ist ein Akt des Verstandes, der auf Geheiß des von Gott durch die Gnade bewegten Willens der göttlichen Wahrheit beistimmt.«  Der Katechismus der Katholischen Kirche schließt sich dieser Definition an und sagt: »Beim Glauben wirken Verstand und Wille des Menschen mit der göttlichen Gnade zusammen« (KKK 155), das heißt, der Mensch entscheidet selbst in Freiheit, »Gott Vertrauen zu schenken und dem von ihm geoffenbarten Wahrheiten zuzustimmen« (KKK 154). Ausgangspunkt des Glaubens ist also das übernatürliche Geschenk Gottes, die Gnade, dem der Mensch in Freiheit mit Verstand, Wille und Gemüt zustimmt. Hans Küng bringt es auf die Kurzformel: Glaube ist »ein Akt des vernünftigen Vertrauens« (S. 22).

In dieser Definition sind bereits die beiden Seiten des christlichen Glaubens enthalten, die schon der Kirchenlehrer Augustinus (+ 430) unterschieden hat: »etwas glauben« und »jemandem glauben« d.h. »vertrauen«. Die Theologie unterscheidet demgemäß zwischen »fides, quae creditur« (Der Glaube, der geglaubt wird) und »fides, qua creditur« (Der Glaube, mit dem geglaubt wird).

Wenn wir nach dem Inhalt unseres Glaubens fragen - fides, quae creditur - so finden wir die wichtigste Zusammenfassung in den zwei liturgischen Glaubensbekenntnissen, dem kürzeren bzw. längeren Credo.

Das Apostolische Glaubensbekenntnis ist in der römischen Kirche bereits im 2. Jh. bezeugt. Es diente als Glaubensbekenntnis in der Taufliturgie, bei dem der Täufling nach seinem Glauben an den dreifaltigen Gott, der heiligen Kirche und der Vergebung der Sünden gefragt wurde und dreimal mit dem lateinischen Wort »credo« antwortete. Später wurde dieses Bekenntnis erweitert und mit seinen 12 Sätzen den Aposteln zugeordnet, deshalb »Apostolisches Glaubensbekenntnis«.

Das längere Credo, das Nizäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis ist in der Ostkirche entstanden. Es geht, wie der Name schon sagt, auf die Konzilien von Nizäa (325) und Konstantinopel (381) zurück. Im 4. Jh. kommt es zu einem theologischen Streit über die Person Jesu Christi und sein Verhältnis zu Gott Vater und dem Heiligen Geist. Kaiser Konstantin ruft ein erstes ökumenisches (d.h.allgemeines ) Konzil nach Nizäa in Kleinasien ein, auf dem gegen die Irrlehre des Arius entschieden wird: Jesus Christus »ist wahrer Mensch und wahrer Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens (»homo-ousios«) mit dem Vater«. Im nächsten allgemeinen Konzil, das Kaiser Theodosius 381 nach Konstantinopel einberufen hat, wird auch die wahre Gottheit des Heiligen Geistes ins Credo aufgenommen. Das Konzil von Chalzedon (451) erklärt das Nizäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis für verbindlich und übernimmt es als Credo für die gesamte Kirche. Es ist bis heute das offizielle Glaubensbekenntnis sowohl für die katholische wie die orthodoxe und evangelische Kirche. Es enthält noch keine Einzeldogmen, sondern bringt die gemeinsame Überzeugung aller christlichen Kirchen zum Ausdruck.

Doch im weiteren Verlauf der Kirchengeschichte kam es immer wieder zu theologischen Streitigkeiten um die rechte Glaubenslehre, die dann in bisher 21 Konzilien geklärt und entschieden wurden. Vor allem bei der Trennung der Ostkirchen (1054) und später der Reformation von Martin Luther (1517) hat die katholische Kirche ihren Glauben verteidigt und in Dogmen weiterentwickelt, die als unfehlbar und unwiderrufbar gelten. Auf dem 1. Vatikanischen Konzil (1870) wurde schließlich die Unfehlbarkeit des Papstes erklärt, wenn er als oberster Lehrer »ex cathedra« verbindlich einen Glaubenssatz verkündet. So hat sich der katholische Glaube zu einer Summe von Einzeldogmen entwickelt, die für den einfachen Gläubigen gar nicht mehr überschaubar sind.

Seit dem frühen Mittelalter war die Theologie die Königin der Wissenschaften. Große Theologen wie Augustinus und Thomas von Aquin verknüpften ihre Theologie mit der griechischen Philosophie von Platon und Aristoteles und forderten einen »Glauben, der nach Verständnis/Erkennen sucht« - »fides quaerens intellectum«. In der Zeit der Scholastik (11. - 13. Jh.) hat sich die Theologie zu einer Wissenschaft entwickelt, die sich den Glaubensfragen (quaestio) stellt, in einer Disputation das Für und Wider überprüft und schließlich zu einer gültigen Antwort führt. Seitdem gilt die Regel, die Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika »fides et ratio«, d.h. »Glauben und Vernunft« (1998) bestätigt hat: »Glauben und Vernunft sind wie die beiden Flügel, mit denen sich der menschliche Geist zur Betrachtung der Wahrheit erhebt.« Glaube darf also nie unvernünftig sein, sondern sucht nach Vernunft, nach Erklärung und Verständnis. Glaube und Wissen dürfen sich nicht widersprechen.  So sind viele Glaubenssätze in der Sprache der scholastischen Theologie, und das heißt, in Verbindung mit der griechischen Philosophie formuliert worden, mit denen wir heute - vom Standpunkt der Naturwissenschaft betrachtet - manchmal in Erklärungsnot geraten können, z.B. bei der Frage nach der unsterblichen Seele oder auch der menschlichen Willensfreiheit. Der Glaube ist uns geschenkt, aber er kann immer nur in der jeweiligen Zeitgeschichte gelebt, verstanden und erklärt werden. So sind die Glaubenswahrheiten, die im Laufe der Kirchengeschichte formuliert wurden, sicherlich verbindlich, aber sie müssen immer wieder ins Heute übersetzt werden und sind deshalb auch für ein neues Verständnis offen, wie die Dogmenentwicklung im Laufe der Geschichte zeigt.

Das II. Vatikanische Konzil hat keine neuen Dogmen verkündet, sondern es hat von der »Hierarchie der Wahrheiten« gesprochen, d.h. es gibt Glaubenssätze unterschiedlicher Wichtigkeit. Die zentralen Aussagen sind im Glaubensbekenntnis zusammengefasst.

Im Credo der Liturgie können wir unseren Glauben bekennen und mit dem Amen abschließen: »Ich glaube -. Amen«. Josef Ratzinger hat in seinem Glaubensbuch (S.50) auf die Verbindung von »ich glaube« und »Amen« hingewiesen. Im Hebräischen - Amen ist ein hebräisches Wort   -  haben beide Wörter den gleichen Wortstamm (mn), der soviel bedeutet wie Trauen, Treue, Festigkeit, Sinn, Grund und Wahrheit. Wenn wir also sagen »ich glaube - Amen« so bringen wir zum Ausdruck: Ich stelle mich voll Vertrauen auf einen Grund, der trägt, auf einen Sinn und eine Wahrheit, die mir Halt und Freiheit geben.

 

2.3 Ich vertraue Gott

Damit sind wir schon bei der zweiten Dimension des Begriffs »Glauben«. Glauben ist mehr als theologisches Wissen und Verstand, Glauben geht viel tiefer - ins Herz und in die tiefste Seele. Schon die Begriffe der biblischen Sprachen zeigen dies deutlich: Das hebr. »aman«  heißt, »sich an etwas fest machen«, das griech. Wort »pistis« meint »Vertrauen«, aber auch »Treue« und »Zuverlässigkeit«. Auch das latein. Wort für »glauben«, »credere«, wird oft  mit »cor dare« erklärt, das heißt »sein Herz geben«. Glauben ist also letztlich nur möglich  in einer tiefen persönlichen Beziehung, zu einem Mitmenschen, einem Du, als religiöser Begriff zu Gott. Gott ist dieses Du, dem ich vertraue, dem ich mein Herz schenke, dem ich die Treue halte, so wie einem lieben Menschen. Und Gott kann ich dann auch all das, was mir wichtig ist, was mir Freude und Erfüllung gibt, aber auch all meine Sorgen, meine Ängste und Nöte anvertrauen. Er gibt mir Halt, Kraft, Stärke und Trost, neuen Mut, Hoffnung, Zuversicht, Freude und Erfüllung, je nach meiner persönlichen Alltagssituation. »Wer mit dem Herzen glaubt und mit dem Mund bekennt, wird Gerechtigkeit und Heil erlangen«, heißt es im Römerbrief (10,10). Unser christlicher Glaube hilft uns, dass Gott als Du nicht anonym und abstrakt bleibt, sondern uns in Jesus Christus als Mensch gegenübertritt, »in allem uns gleich außer der Sünde« (Gaudium et spes 22, vgl. Hebr 4,15). Er hat all das erlebt, was auch unser Leben ausmacht, bis hinein in Leiden und Tod. Diese Nähe zu einem menschlichen Gott unterscheidet den christlichen Glauben von allen anderen Religionen.

Aber wie jede gute menschliche Beziehung muss die Glaubensbeziehung zu Gott bzw. zu Jesus Christus auch immer wieder gepflegt, gestärkt und gefestigt werden, im Gebet, in der Stille, im Lesen der Heiligen Schrift, im Gottesdienst usw.. Glauben wächst, entwickelt und festigt sich im Laufe des Lebens, und er hilft uns viel weiter als jede menschliche Beziehung uns helfen kann. Glaube gibt unserem Leben Sinn und Wert - weit über den Tod hinaus, er ist »das Feststehen in dem, was man erhofft, das Überzeugtsein von dem, was man nicht sieht«  (Hebr 11,1). Eine solch intensive Glaubensbeziehung hat natürlich Konsequenzen für unsere eigene Lebensgestaltung. »Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm« (1 Joh 4,16). »Wenn Gott uns so geliebt hat, müssen auch wir einander lieben« (1 Joh 4,11). Wer an den Gott der Liebe glaubt, fühlt sich diesem Liebesgebot verpflichtet und versucht sein Leben ethisch und moralisch rechtschaffen auszurichten. Aber Gottes Liebe verlässt uns auch nicht, wenn wir schwach und schuldig geworden sind. Gott steht mir auch zur Seite, wenn ich falsch gehandelt und gesündigt habe. Er schenkt mir Vergebung und Versöhnung und immer wieder die Chance eines Neuanfangs.

Diese persönliche Glaubensbeziehung zu Gott ist der höchste Sinn und Wert unseres Lebens, ein Geschenk, das unserem Leben die tiefste Erfüllung gibt, wie es Paulus im Epheserbrief ausdrückt: »Aus Gnade seid ihr durch den Glauben gerettet, nicht aus eigener Kraft - Gott hat es geschenkt« (2,8). Hans Küng fasst das Geschenk, das uns der Glaube gibt, so zusammen: »Christsein verwirklicht einen Humanismus, der nicht nur alles Positive, sondern auch alles Negative; Leid, Schuld, Sinnlosigkeit, Tod zu bewältigen vermag aus einem letzten unerschütterlichen Gottvertrauen heraus, das sich dabei nicht auf die eigenen Leistungen, sondern auf Gottes Gnade verlässt« (S. 249). Der Schlusssatz seines Credo-Buches lautet: »In der Nachfolge Jesu Christi kann der Mensch in der Welt von heute wahrhaft menschlich leben, handeln, leiden und sterben: in Glück und Unglück, Leben und Tod, gehalten von Gott und hilfreich den Menschen« (S. 250).

Im Johannesevangelium verspricht Jesus im Bild vom guten Hirten: »Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben« (Joh 10,10). Der Glaube schenkt uns ein Leben in Fülle, schon jetzt hier auf Erden und dann in der Vollendung im Reiche Gottes.

 

2.4 Glaube sucht Gemeinschaft

Glaube lässt sich nicht im Alleingang verwirklichen. Glaube braucht Gemeinschaft, Glaube sucht nach Gemeinschaft: »Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen« (Mt 18,20). Durch die Taufe sind wir in die Glaubensgemeinschaft aufgenommen worden, die wir Kirche nennen. Sie trägt uns, sie begleitet und fördert uns. Kirche hat viele Gesichter und viele Ebenen, von der hierarchisch strukturierten Amtskirche und Weltkirche bis herab in die Ortsgemeinde. Für den einzelnen Gläubigen ist diese unterste Ebene die wichtigste, deshalb soll hier auch der Schwerpunkt meiner Ausführungen liegen.  Hier lebt er, hier nimmt er teil am Gemeindeleben, hier feiert er den Gottesdienst und die Feste des Kirchenjahres mit, hier engagiert er sich und bringt sein Charisma, seine Begabungen und Fähigkeiten in die Gemeinschaft ein, wie es Paulus im 1. Korintherbrief (Kap. 12) so überzeugend zum Ausdruck gebracht hat, hier fühlt er sich heimisch, wertvoll und geborgen.

Das Neue Testament spricht in verschiedenen Bildern von der »Gemeinschaft der an Jesus als den Christus Glaubenden«, wie Hans Küng den Begriff Kirche definiert (S. 176). Die Kirche ist das Volk Gottes, so steht es im 1. Petrusbrief: »Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde« (1 Petr. 2,9). Für Paulus ist die Kirche »der Leib Christi, wir alle sind Glieder dieses Leibes (vgl. 1 Kor. 12,12 ff), »Christus ist das Haupt der Kirche« (Eph 5,23; Kol 1,18). Das Pfingstfest ist die Initialzündung für die Kirche. Die Jünger empfangen den Heiligen Geist, sie ziehen hinaus in die Welt und verkünden das Reich Gottes. Heute gilt uns dieser Auftrag, die christliche Botschaft weiterzutragen, als pilgernde Kirche auf dem Weg zur Vollendung. Gottes Geist inspiriert (spiritus = Geist) uns, motiviert uns und zeigt uns den Weg durch die Zeit immer wieder neu.

Kirche ist nicht Selbstzweck, sie steht im Dienst der Verkündigung und unter dem Auftrag der Diakonie (Dienst am Nächsten). Ihre Aufgabe ist es, das Heil der Gläubigen in der Einheit von Wort und Sakrament zu fördern und zu bewirken.

Im Credo werden der Kirche vier wesentliche Eigenschaften zugesprochen: »Ich glaube ... die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche.« Eine ausführliche Erklärung dieser vier Wesenszüge würde den Rahmen hier sprengen, deshalb nur ein paar kurze Anmerkungen dazu:

Diese vier Eigenschaften sollen nicht die Kirche in ihrem derzeitigen Zustand beschreiben, sondern ein Idealbild von Kirche entwerfen, das zu verwirklichen wir bestrebt sein sollen.

Die  Einheit der Kirche ist heute durch viele Kirchenspaltungen im Laufe der 2000jährigen Geschichte getrübt, und doch gibt es unter allen Christen das Band des gemeinsamen Glaubens (Credo), das Band der Liebe und des Bestrebens um eine sichtbare Einheit.

»Heilig« ist die Kirche, weil Gott uns das Heil schenkt. »Die Kirche ist heilig, auch wenn sich in ihrer Mitte Sünder befinden«, sagt das II. Vatikanische Konzil. Die Heiligung der Menschen ist das Ziel der Kirche, ihr ist »die ganze Fülle der Heilsmittel anvertraut«. Nach dem großen Theologen Karl Rahner ist die Kirche das »Ursakrament«, das »Grundsakrament des Heils der Welt«, »das geschichtliche Zeichen der Gnade Gottes in der Welt«. Das macht ihre Heiligkeit aus.

»Katholisch« ist ein griechisches Wort und heißt »weltweit, weltumfassend«. Der Sendungsauftrag für die Kirche geht »bis an die Grenzen der Erde« (Mt 28,19). Erst später wurde der Begriff auf die römisch-katholische Kirche - im Unterschied zu anderen christlichen Kirchen - reduziert. Auch andere christliche Kirchen können katholisch, d.h. weltumfassend sein, so wie die katholischen Christen sich auch evangelisch, d.h. auf das Evangelium bauend, verstehen können.

»Apostolisch« wird die Kirche genannt, weil sie »auf das Fundament der Apostel gebaut« ist (Eph 2,20) und bei allen Entwicklungen und Veränderungen in ihrem innersten Kern mit der Kirche der Apostel identisch ist.

Trotz dieser großen Ehrentitel ist die Kirche »nicht Herrin von Wort und Sakrament, sondern Dienerin der Heilsgeheimnisse Gottes«, wie es Kardinal Walter Kasper einmal zum Ausdruck gebracht hat.

 

2.5 Ich glaube, hilf meinem Unglauben

Der Evangelist Markus erzählt die Geschichte von einem besessenen Kind (Mk 9,14 - 29), dessen Vater sich hilfesuchend an Jesus wendet: »Wenn du kannst, hilf uns!« Jesus antwortet ihm: »Alles kann, wer glaubt. Da rief der Vater des Jungen: Ich glaube, hilf meinem Unglauben!« Und Jesus heilt den Knaben und »richtet ihn auf«. Es ist eine ergreifende Geschichte, die verkürzt auch von Matthäus (17, 14 - 21) und Lukas (9, 37 - 41) erzählt wird.

Geht es uns nicht auch oft so wie dem Vater? Wir möchten glauben, aber da kommen immer wieder Fragen und Zweifel, Zweifel ganz unterschiedlicher Art. Viele Fragen betreffen erst einmal den Glaubensinhalt (fides, quae creditur): Wie lässt sich dieser Glaubenssatz mit der Vernunft, mit der Wissenschaft, vor allem heute mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen vereinbaren, z.B. die Welt als Schöpfung Gottes oder als Evolution? Solche Anfragen an den Glauben oder das eigene Glaubensverständnis sind durchaus berechtigt, ja notwendig, sie können sogar zu einer Glaubensvertiefung führen. Denn Glauben und Wissenschaft können sich letztlich nicht widersprechen. Deshalb muss sich die Theologie oder auch jeder Gläubige immer wieder fragen, wie unser Glaube heute angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse richtig zu verstehen ist. Und da hat die Kirche gerade in den letzten Jahrhunderten mit der Verurteilung naturwissenschaftlicher Lehren (z.B. Galilei, Kopernikus, Darwin) auch schwere Fehler begangen. Nicht wenige Gläubige fragen sich heute: Wie glaub-würdig ist die Kirche selbst? Josef Ratzinger, der heutige Papst, hat schon vor 40 Jahren in seinem Glaubensbuch geschrieben: »Die Kirche ist für viele heute zum Haupthindernis des Glaubens geworden« (S. 283). Viele Katholiken (und auch evangelische Christen) treten aus der Kirche aus, weil sie meinen, die Kirche heute sei nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Die innerkirchliche Kritik nimmt gerade in der katholischen Kirche zu. Da ist von »Reformstau« die Rede und die Angst spürbar, der Papst wolle das Rad der Geschichte hinter die Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils zurückdrehen. Viele - vor allem junge Menschen - können auch nicht mehr die Moralvorschriften der Kirche, z.B. bei Fragen der Sexualmoral oder im Bereich der Bioethik akzeptieren, ohne deshalb aus der Kirche auszutreten oder ihren persönlichen Glauben zu verlieren. Trotzdem bedeutet jede Entfremdung von der Kirche auch ein Risiko für den eigenen Glauben.

Eine wirklich ernsthafte Herausforderung für ihren persönlichen Glauben erleben Menschen, wenn ihr Vertrauen auf Gott (fides, qua creditur) ins Wanken gerät. Auslöser solcher Glaubenskrisen können schwere Schicksalsschläge sein, eine unheilbare Krankheit, der Tod eines lieben Mitmenschen u.ä.. Die Menschen fragen sich in solchen Lebensprüfungen: Wo bleibt Gott? Warum hat er mein Gebet nicht erhört? Und manchmal führen solche Zweifel wirklich zur Ver-zweiflung, wo der Mensch und sein Glaube in Leid und Sinnlosigkeit zerbricht. Wohl dem Menschen, der in so einer verzweifelten Situation Glaubenshilfe von einem anderen erfährt und wieder auf den Weg zu Gottvertrauen zurückfindet.

Zweifel gehört zum Leben, er ist uns bei der Suche nach richtig und falsch, gut und böse angeboren und deshalb auch in Glaubensfragen nicht schuldhaft. Es gibt freilich noch eine andere Kategorie von Glaubenszweifel, die durchaus schuldhaft sein kann, z.B. wenn ein Mensch bewusst und freiwillig den Glauben an Gott und sein Wirken für sich und sein Leben ausschließt bzw. seinen Glauben absichtlich aufgibt.

Gerade angesichts so vieler Anfechtungen im Glauben ist es wichtig, Menschen zu finden, die helfen können, glaub-würdige Zeugen, die mir zur Seite stehen, wenn mein Glaube an eine gefährliche Wegkreuzung kommt, wo ich allein nicht mehr weiter weiß. »Wer gibt mir, dass ich Ruhe finde ... und mein einziges Gut umfange - dich?«, sagt der große Kirchenlehrer Augustinus, denn »unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir«. Hüten und bewahren wir unseren Glauben als das große Gut unseres Lebens, als den Schatz, der alles an Wert übersteigt, was wir sonst besitzen (vgl. Mt 13,44)! Dann können wir mit dem »Te deum« voller Vertrauen beten: »Auf dich, Herr, habe ich gehofft; ich werde in Ewigkeit nicht zuschanden werden«.

 

Literatur:

Josef Ratzinger, Einführung in das Christentum. München 1968

Hans Küng, Credo. Das Apostolische Glaubensbekenntnis - Zeitgenossen erklärt.

München 1992

Jetzt hat Hans Küng noch ein ganz persönliches und sehr lesenswertes Glaubensbuch veröffentlicht: »Was ich glaube«. München 2009